Die Großmolkerei Ehrmann ist in Russland nach dem Angriffskrieg aktiver denn je – und taucht ab, wenn es um Putins Krieg geht. Einer Studie zufolge ist das Umsatzwachstum das drittgrößte internationaler Unternehmen.

Christian Ehrmann kann es nicht gefallen, wie sein Unternehmen gerade wahrgenommen wird. Die Großmolkerei aus Oberschönegg im Allgäu, deren Vorstands­vorsitzender er ist, gilt als besonders russlandfreundlich, und das wurde zu Wochenbeginn deutlicher denn je: Ehrmann ist zwar seit Langem in Putins Reich aktiv, aber erstens wurden die Geschäfte nach Kriegsausbruch noch intensiviert. Und zweitens hat eine Untersuchung der privaten Hochschule „School of Economics“ in Kiew und der Nichtregierungsorganisation „B4ukraine“ Ehrmanns Russland-Kurs wieder ins Bewusstsein gerufen – das Unternehmen macht dort weiter, als gäbe es keinen Krieg.

Damit ist es eines unter vielen, national wie international. Und doch ist die Verschwiegenheit der süddeutschen Milchverarbeiter besonders hartnäckig. Als Familienunternehmen unterliegt Ehrmann nicht den Berichtspflichten, die börsennotierte Konzerne erfüllen müssen. Legal und nicht sanktioniert sind die Geschäfte ohnehin. Aber Unternehmen wie der Landmaschinenhersteller Claas, ebenfalls in Familienhand, waren auskunftsfreudiger und begründeten, warum sie in Russland geblieben sind. Ehrmann, das seine soziale und gesellschaftliche Verantwortung betont, könnte ebenfalls erläutern, warum es mit seinen Gewinnsteuern den russischen Staat, mithin auch dessen Militär, mitfinanziert. Oder was gegen einen Abbruch der Verbindungen spricht. Umsatz in Russland steigt stark

Mehrere Anfragen liefen allerdings ins Leere. „Aufgrund des aktuellen Zeitplanes und den unterschiedlichen laufenden Projekten“ werde sich Christian Ehrmann nicht äußern, hieß es per Mail. Der Ehrmann-Chef gilt als verschwiegen. Selten sind Zitate von ihm zu lesen wie nach dem Kauf und der angeblich 40 Millionen Euro teuren Sanierung eines Luxushotels am Tegernsee. Man wolle im Hotelgeschäft dieser exklusiven Lage die Nummer eins sein, sagte der Molkereichef anlässlich der Immobilientransaktion selbstbewusst.

Nicht die Nummer eins, aber doch weit vorne ist Ehrmann in Russland. In einer Auflistung der ukrainischen „School of Economics“, die das Umsatzwachstum deutscher Unternehmen in der Russischen Föderation zwischen 2021 und 2022 beleuchtet – also zwischen dem Vorkriegs- und dem ersten Kriegsjahr –, belegt der Nahrungsmittelhersteller den dritten Platz, gleich hinter dem Energiekonzern Uniper und dem Großhändler Metro. Demnach soll Ehrmanns Umsatz im Land von 356 Millionen Dollar auf 470 Millionen Dollar gestiegen sein. Ein ähnlich hohes absolutes Plus weist der Käsehersteller Hochland auf, der hinter Ehrmann den vierten Listenplatz belegt.

470 Millionen Dollar – das wäre beachtlich für ein Unternehmen, das 2021 mit 3200 Mitarbeitern rund 800 Millionen Euro umsetzte. Aber Tatsache ist, dass Russland für Ehrmann seit fast drei Jahrzehnten eine wichtige Rolle spielt. Bereits 1994 exportierte man dorthin und in andere GUS-Staaten. Weil es so gut lief, bauten die Deutschen um die Jahrtausendwende schließlich im Dorf Raos, 40 Kilometer südlich von Moskau, ein großes Milchwerk. In den Wirren nach dem Zerfall der Sowjetunion sogar ohne richtige Genehmigung, wie der damalige Firmenchef Alois Ehrmann seinerzeit ohne Umschweife einräumte. In westlichen Unternehmen herrschte in den 1990er-Jahren mit Blick auf Russland Goldgräberstimmung. Auch kapitalistische Großkonzerne wie Danone drängten in das einstige Zentrum des Kommunismus. Ehrmann gehörte dabei zu den ersten, die die Expansionsgedanken in die Tat umsetzten. Expansion noch kurz vor dem Krieg

Zuletzt expandierten die Allgäuer 2021. Da übernahmen sie die „OOO Campina “, die russische Tochtergesellschaft des gleichnamigen niederländischen Milchgiganten. „Aufgrund der langjährigen Erfahrung im russischen Markt und der zum Erwerbszeitpunkt vorherrschenden guten Marktaussichten“, heißt es im jüngsten Konzern­abschluss zur Begründung – um gleich darauf zu relativieren: „Diese Einschätzungen wurden wohlgemerkt vor Ausbruch der Russland-Ukraine Krise im Februar 2022 getroffen.“

Zumindest 2021 war man in Oberschönegg noch zufrieden mit der Lage im Osten. Die „OOO Ehrmann“ verbuchte damals „ein deutliches Absatzplus“ und schloss das Jahr ebenso mit einem „positiven Ergebnis“ ab wie „OOO Campina“. Doch im letzten veröffentlichten Geschäftsbericht mit Abschlussdatum April 2022 heißt es auch: „Das Hauptrisiko für unser Geschäft ist der Kriegsausbruch in der Ukraine mit Russland als kriegsführender Partei, der weltweit zu erheblichen Sanktionen gegenüber Russland geführt hat.“ Sollte es nicht möglich sein, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, seien die finanziellen Auswirkungen zwar erheblich – mit rückläufigen Umsätzen von rund 26 Prozent –, der Fortbestand des Konzerns sei aber nicht gefährdet.

Von Gefährdung kann offenbar mit Blick auf die jüngsten Daten aus Kiew keine Rede mehr sein. Aber neue Informationen direkt aus dem Allgäu gibt es seitdem nicht mehr – das Thema Russland ist zum Nichtthema geworden.

    • redballooon@lemm.ee
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      1 year ago

      Falsche Abstraktion. Auch kapital-getrieben gibt es viele Firmen, die zumindest nicht strategisch auf Ausbeutung setzen.

      Und Ausbeutung gab es auch lange vor der Erfindung des Kapitalismus.

      • Guildo@feddit.de
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        1 year ago

        was? Alleine schon das Lohnanstellungsverhältnis ist per Definition Ausbeutung. Mehrwert schonmal gehört?