Ich begegnete dieser Band Mitte der 90er bei unserem damaligen gemeinsamen Label Motor Music. Die dortigen Chefs priesen uns ihr „kontroverses neues Signing“ an. Sie logen uns vor, dass der geschmacklose Name nur ein Zufall sei. Er habe angeblich nichts mit dem Ort zu tun, wo bei einem Flugunglück im Jahr 1988 siebzig Menschen ums Leben kamen. Genau darum ging es der Band und ihrer Plattenfirma von Anfang an: Tabus brechen, täuschen, provozieren und die Kritiker als humorlos und piefig diskreditieren. Ein Video mit Filmmaterial der NS-Propagandistin Leni Riefenstahl? Kunst? Provokation? Ein halbminütiger Trailer zu ihrem neuen Video, in dem vier Bandmitglieder in Kleidung von KZ-Gefangenen am Galgen stehen? Widerlich? Nein, denn zwei Tage darauf erscheint das ganze Video mit einem Text, der sich „kritisch“ mit Patriotismus etc. auseinandersetzte. Als ob dies nun den Trailer weniger ungehörig machen würde.

Natürlich ist diese Band nicht rechts. Aber sie ist ohne jegliches Gefühl für das, was ihre Geschmacklosigkeiten mit kommerziellem Hintersinn bei Menschen anrichten können, für die im Leben eben nicht nur alles ein Witz ist bzw. war. Die Band ist nichts weiter als eine Werbeagentur für sich selbst; bewaffnet mit riesigen Verstärkern und Pyrotechnik.

  • gapbetweenus@feddit.de
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    1 year ago

    Provokation ist aber auch einfach ein fester Teil von Rock Kultur. Der Text liest sich dagegen insgesamt etwas bitter über den Erfolg von Rammstein.

  • rumschlumpel@feddit.de
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    1 year ago

    Weiß nicht, ist schon ein sehr opportunes Band-Gebashe. Ohne die aktuellen Vorwürfe würde der Artikel keinen interessieren, auch wenn ich ihm inhaltlich durchaus zustimme. Ist jetzt nicht so, als wäre es neu, dass viele Leute Rammstein geschmacklos finden.

    Persönlich nervt mich an der Band (von den “Groupie”-Vorwürfen abgesehen) vor allem, dass ausgerechnet sie eine der international bekanntesten deutschen Bands ist. Wir brauchen echt nicht noch mehr Futter für das Klischee von martialischen, R-rollenden Deutschen. Auch zweifelhaft, ob ein Großteil des internationalen Publikums die Ironie vieler Songs rafft …

    • 4kki@feddit.deOP
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      1 year ago

      Diese geschmacklosen Provokationen jetzt als Ironie herunterzuspielen, die man missverstehen könnte, spiegelt ja genau das Problem…

      • hi65435@discuss.tchncs.de
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        1 year ago

        Keine Ahnung, Rammstein sind jetzt nicht die Einzigen, die das Martialische persiflieren. (Mal ganz allgemein gesprochen und auch außerhalb der Musik gesehen.) Aber wer die Musik gut kennt muss sich irgendwann dann doch fragen, ob es da Abgrenzung gibt oder nicht. Andere Kreative kriegen es auch hin. Rammstein offensichtlich nicht, ihnen scheint die Ironie abhanden gekommen zu sein und sie fangen sich an mit ihren Kunstfiguren zu identifizieren. Und ganz ehrlich, hier geht es ja nicht nur um das Martialische sondern auch um Rollenbilder und alles.

        Nichts für ungut, als Lindemann unter die Miethaie gegangen ist, waren sie bei mir ohnehin schon unten durch.

      • rumschlumpel@feddit.de
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        1 year ago

        Kann man jetzt formulieren wie man will, es geht darum, dass viele ausländische Fans das alles einfach auf der ganz oberflächlichen Ebene für bare Münze nehmen.

        Es ist ein Riesenunterschied, ob man mit Nazi-Ästhetik proviziert, aber dann im eigentlich Song das ganze persifliert (selbst wenn es am Ende eher um die Provokation als die Persiflage geht), oder einfach komplett unironisch die Nazi-Ästhetik feiert.